Wednesday, July 26, 2006

Boston-Tagebuch oder "Fragen an Richard" 15.bis18. juli 2006

15.7.

was ist der unterschied zwischen new yorker und bostonian?
der bostonian hat einen hund, der new yorker drei.

erst später erfahre ich von richard, dass es sich hier um dog walker handelt, die mit einem ganzen hundecluster herumlaufen.
heute morgen, etwas später als sonst so gegen halb neun, als ich durch den freshpond lief (counterclockwise), begegnete mir die schlange beth. sie begann mir ohne umschweife zu erzählen, wer gott war, denn er ist nicht mehr. gott, und da staunte ich nicht schlecht, war nichts anderes als ein gewöhnlicher mensch der frühzeit. das heißt so ganz gewöhnlich war er wohl doch nicht, denn er war der erste mensch, der ein selbstbewußtsein entwickelte und sich so selbstverständlich auffallend von den anderen abhob.
er konnte sie lehren! er konnte ihnen in die augen schauen und sie willkommen heißen in der welt des bewußtseins, gewissermaßen eine art neugeburt. nun konnte man sich gedanken machen und ideen entwickeln und das tat er fleißig. sein name glich übrigens in der aussprache sehr unserem „gott“ und klang etwa gchod-t. er entwickelte erste ansätze einer sprache und der schrift (verständlicherweise eine heilige).
gchod-t wurde steinalt und von seinem stamm sehr verehrt. um sein wissen für seine nachkommen zu erhalten, stieg er jeden tag auf einen hügel oder suchte eine höhle auf, um eine art schriftliche lebensanweisung, gleichsam die urform eines gesetzbuches zu verfassen. dabei wurde er eines tages von nomcchrod-t überrascht, einem gefährlichen raubtier seiner zeit. der verschleppte sein opfer an einen entlegenen ort, bevor er es tötete und fraß. so fand sein stamm, als man ihn suchte nicht einmal blutspuren und da es sich um felsigen untergrund handelte, auch keine fußabdrücke des räubers. allerdings die schriften des angängigen hochverehrten alten.
und so bildete sich die legende, er sei gen himmel gefahren, um von dort die geschicke der menschen zu beobachten und sie zu schützen. die legende verbreitete sich über die von menschen besiedelten gebiete und wurde dabei immer wieder etwas verändert. sodaß es am ende zu den verschiedensten religionen kam.
und wenn ihr mir nicht glaubt, was ich erlebt habe, so ist das eure sache. ich jedenfalls glaube der schlange, denn sie ist ein unglaublich altes lebewesen. beth trollte sich übrigens, denn das erzählen strengte sie an.

wir haben heute nicht viel vor, wandern nach harvard, speisen im bon pain. wir reden nichts über gestern, aber eine gewisse anspannung ist deutlich spürbar, wenig empathie in der luft. eine reinigende entschuldigung wäre nicht übel.
als meister im drüberweglatschen kommen wir aber auch so zurecht. franzi verschwindet im coop, der wunderschönen buchhandlung am square und jutta und ich verziehen uns zu peet, dem wir unsere kaffeegutscheine um die ohren hauen wollen. ich versuchs mit vieren, krieg 2 erlaubt und dafür 2 espresso, die eigentlich verschreibungspflichtig wären.
im kleinen park vor peet, steht ein pinkfarbenes partyzelt von victorias secret und davor ein pinkgepunkteter hummer. es werden irgendwelche talente gesucht und es gibt irgendwas zu gewinnen, u.a. so einen hummer. willkommen bei barbies zu hause. die ganze szene sollte es als barbie-set geben.
irgendwann schauen noch 2 officer vorbei, gutaussehend wie gecastete fernsehbullen. sie stehn breitbeinig, stellen fragen, sind extrem cool dabei. träum ich das eigentlich alles?

nein, denn wir müssen franzi aus dem coop rausholen, lesen dort selbst ein bisschen und fahren mit dem bus zurück. der startet in einem tunnel unter dem square mit einem affenzahn durch die röhre, ein durchaus astronautentauglicher beschleunigungstest. ich geh noch bei richard vorbei, der aber nicht zu hause ist. ein bärtiger typ, weigert sich richard zu kennen und verschwindet direkt in der nachbarwohnung.
der himmel ist heute grau, alles klingt leicht verstimmt und in solchen momenten kommen mir die amerikaner auch sehr grau vor. bisher lebten sie eine erfolgsstory nach der anderen von einigen „missgeschicken“ und traumata unterbrochen.
sie wirken strong, straight und healthy und viele wealthy. sie stehn zu ihrem land und geben ihm ihre energie. sie fühlen sich unverletzlich wie supermann, pearl harbour ein kratzer im lack und schnell behoben, vietnam auch irgendwie schon lange her, kennedy, naja wer weiss, und bush dauert auch nicht mehr lang.
das abhacken der türme des world trade centers hat da schon mehr weh getan und man glaubt, das auch der stadt anzumerken. aber was ist, wenn die erste wirkliche krise das land trifft.
so gedankenschwer gehe ich erstmal in den park pinkeln, genieße diesen verstoß außerordentlich und lese erstmals genauer die vollgepfropfte infowand. die gebote und verbote fotografiere ich, weil das wirklich an exo-pädagogik grenzt.

abends ist die volle glotze angesagt von shrek 2 bis zu fluch der karibik 1. wir genießen es, nachdem man mich noch mal mit einkaufsliste zu whole foods ausgesandt hatte, schmatzend
und packen anschließend die koffer für den umzug.

der taxifahrer verfrachtet uns wortlos und erhält dafür 10 dollar und wir wohnen am freshpond place mit richard, cassidy und der abwesenden cynthia. wir vermissen sofort die klimaanlage des versiegelten hotels, denn die hitzewelle erreicht ihren höhepunkt, der ein paar tage anhalten wird. wir lesen und hecheln uns über high noon und verlassen vom hunger getrieben, das haus so gegen 5 p.m., um einen diner zu finden. den verpasse ich knapp und wir landen bei michael´s pizza, einer eckklitsche mit verblassenden griechenland-bildchen an den pastellwänden und frostigem eishauch aus der klimaanlage. nach der hitzigen wanderung ein schock, aber nach ein paar minuten sind wir klimatisiert und der körper kann wieder andere funktionen übernehmen als nur kühlung.
zum beispiel quatschen. mein steak with onion schmeckt knackig wie ein döner und der salat ist wie immer grandios frisch. auf der straße sehen wir auf einigen autos aufschriften wie „veteran of corean“ war. denselben ist auch eine brücke gewidmet (stellvertreterkrieg 1950-1953). jutta fotografiert als wäre sie gerade angekommen.
wir finden einen supermarkt und kaufen ein wenig für´s frühstück ein. dabei teilen wir uns auf und müssen dann immer wieder durch die endlosen regalspaliere tigern, um uns wiederzufinden.
es ist das erste Mal, dass wir in einer ganz normalen wohngegend sind, umgeben von netten einfamilienhäusern, alle aus holz, z.t. mit wunderschönen gärten davor. hin und wieder weht der union jack und einer hat italienisch beflaggt, ergänzt durch ein „forza italia“. das macht uns wild und wir verwüsten seinen vorgarten. als er schließlich aus dem fenster schaut, so ein feister, pomadisierter typ im unterhemd, rufen wir ihm zu „viva prodi“ und machen ihm die lange nase. er fuchtelt wild und rennt zurück ins Zimmer. doch als er wieder am fenster erscheint mit seiner flinte, sind wir außer reichweite und gratulieren uns zu diesem sieg. weit hinter uns verhallen die schüsse des patridioten.
richard schlägt vor, eine grandiose eisdiele in der nähe aufzusuchen. da sie einen italienischen namen trägt, fürchten wir zuerst, unser freund könnte der betreiber sein, was uns alle in schwierigkeiten bringen würde. doch das ist eher unwahrscheinlich. das gespräch unterwegs dreht sich um kennedy, eine thema, das immer wiederkehrt. es geht natürlich um die legenden, die sich um die ermordung ranken. richard vertritt die theorie, dass lee harvey oswald der einzige attentäter war und dass die leute nur nicht wahrhaben wollen, dass ein so ein kleiner wicht einen riesen von kennedy-format erlegen kann. er konnte, weil er als ausgebildeter marine alle nötigen fähigkeiten hatte. dasselbe gilt für die attentate auf m.l. king und robert kennedy. naja, wenn das mal stimmt.
wir lauschen und genießen die amerikanische nacht, mit ein paar sternen, die sich durch den dunst blinzeln und einem erfrischenden lüftchen. das eis ist sowohl groß- als auch großartig, der salon mit dem charme einer studentenkneipe füllt sich ein wenig. aber wir müssen raus, weil cassidy vor der tür nervös wird. die betagte dame möchte nachhause und zittert vor aufregung.
die unterhaltung geht weiter, denn unsere fragen zu land und leuten wollen nicht enden. richard ergänzt mit einigen netten anekdoten. so kennt er den gründer des eisalons, ein typ namens gus. er war einst sein roommate, hat ihm (richard) allerdings später vorgeworfen, er hätte im seine freundin verdorben, die ihn betrogen hatte. richard war damals infiziert vom virus des kommunelebens und wir können uns vorstellen, was da ablief.
wir erfahren, dass die kennedys ihr vermögen mit schmuggel gemacht haben, als teil einer irischen mafia.
zurück in der wohnung sitzen wir noch lange auf der veranda und reden, wenn man unsere amokläufe in der englischen sprache so nennen kann (unsere tochter ausgenommen).
die aktuelle politik bringt richard folgendermaßen auf den punkt: die drei „g“ die das land in der kralle halten:

god haben die demokraten nicht
gays dürfen bei den demokraten heiraten
guns wollen die demokraten uns wegnehmen


17.7.

geplant ist m.i.t., unter nutzung sämtlicher klimatisierter räume. ungeschützter aufenthalt in der erdatmosphäre soll vermieden werden.

bereits beim frühstück klettert die außentemperatur auf über 30 grad. ich habe meine runde durch den park überlebt, ohne beim notarzt zu landen, schwitze aber bäche aus. wir frühstücken mit richard. franzi schläft.
zum ersten mal reden wir über unsere urlaubskrise von vorgestern und über die methode sich zeitweise getrennter wege zu bedienen.
inzwischen sind richards angestellte eingetroffen und hier wird gearbeitet.

das m.i.t. stellt sich als labyrinth heraus, durch das wir wie durch einen teilchenbeschleuniger gegen den uhrzeigersinn gejagt werden. wir pausieren im gehri-gebäude oder –schachtel-modul-kunstwerk, gelobt sei das spielerische durchdrehen eines jung gebliebenen architekten.

abends endlich zum diner mit fachkundiger führung durch richard. ich habe das geld vergessen. er gleicht aus durch die credit-card, die unter einem haufen für-irgendwas-cards zappelt, mühsam von einem gummiband gezähmt.
(später weiter, weil wir zum kino müssen und ich bin nicht mal angezogen)
noch mal zurück zum diner: es ist wie im film, eine art aufgeblasener wohnwagen mit dieser typischen neonschreibe „town diner“. innen ebenfalls neon, blau und rosa, tischabteile für 4, ein dicker hintern auf dem barhocker und mehrere mädels, die bedienen. die sitze, glaube ich, sind ledern.
nicht so das essen. wir wählen typisch: burger mit fries, ich etwas mit bohnen. aber erstmal ein schock: kein alkohol, kein bier, weil der laden keine lizenz dazu hat. da hilft nur ginger ale. die speisen sind frisch, wirken allerdings alle, als wäre der küchenchef (vielleicht ein golfkriegsveteran?) noch mal mit dem flammenwerfer drübergegangen, will heißen fleckig geschwärzt. die optik der fries (pommes) lässt herkunft museum vermuten, schmecken aber o.k., der salat knackin frisch, wie überall, stimmung prächtig, richard bester laune.
und wir haben unser diner gehabt. ab 10 p.m. macht der diner dicht und lässt keinen mehr rein, uns aber raus.

18.7.

mit der blue line nach revere beach und dort die hitze mithilfe eisigen atlantikwassers durchtauchen.

der tag beginnt mit einem dieser fragen-an-richard-frühstücke, deren beantwortung wir ihm mit von mir laufend gekauften semmeln vergelten. die semmeln sind sauteuer, weil sie mich in der bereits 9 a.m. heftigen hitze fast das leben kosten.

die blue line ist eine alte klapperkiste von u-bahn, die mit linoleumboden, abblätterndem lack aber klimatisiert nach norden rattert. wir erreichen sie erst nach 2-maligem umsteigen über die green line. in den bahnhöfen tief unter der stadt steht die hitze und einzig die hoffnung auf den ankommenden kühlschrank hält alle am leben. es existiert ein kontrast zwichen der spürbaren wirtschaftlichen potenz und der lange nicht erneuerten infrastruktur. ausnahme sind die neuen fahrkartenautomaten, die allerdings erst in einigen stationen stehen.
die blue line taucht hinter dem airport unter der erde auf und rattert durch vororte mit hübschen holzhäusern, die manchmal sogar von trocknender wäsche umweht werden.
am strand fürchtet jutta, wir würden vom sheriff erschossen, wenn wir uns einfach am strand hinter unseren handtüchern die badeklamotten überstreifen. wir tun es dennoch, haben allerdings ein auge auf die umgebung. ein flieger nach dem andern donnert über uns zum logan airport, denn wir liegen in der einflugschneise. über dem sand flimmert die hitze, während nun auch jutta und franzi die eiseskälte des atlantiks zu spüren bekommen. dennoch gehen wir rein, ist doch klar. neben schlotternden amis, arbeiten wir uns schrittweise vor. das dauert etwa eine stunde. der aufenthalt im wasser dauert dann etwa 2 minuten. (so schlimm war es nicht, i´m kidding)
wir verbringen einen geruhsamen tag am strand und fahren coffee to go haltend mit der blue line zurück, sand in jeder körperfalte.
wir treffen uns mit richard um halb acht zu „pirates of the caribbean“ teil 2 und verschwinden für 2 einhalb stunden komplett aus dieser welt. disney kann es doch noch. im kino, klimatisiert, versteht sich, kühlen wir kräftig runter, und am ende ist die hitze des tages vergangenheit, die blase zum bersten voll und der bewegungsapparat komplett versteift.
dinner ist diesmal zu hause geplant, wozu wir nur noch bier einkaufen müssen und zwar ein six pack mit blueberry-geschmack, einer mit dem bereits genossenen cherry-weed und einer simpel für mich: pale beer.

wir gehen den weiten weg durch den freshpond und fotografieren unterwegs das ungeheuer von fresh pond, das sich meist bei nahenden gewittern nachts zeigt.

die mikrowelle heizt ein fantastisches stew von cynthia, dazu kartoffelsalat ebenfalls hausgemacht und eben das bier und zwar von jedem eine zum vergleichen. die heidelbeere schneidet überraschenderweise am besten ab, danach pale beer und am ende cherry weed, weil es zu sehr an arznei erinnert oder an arsen und eine vergiftung befürchten lässt. die sorte verdiente auch allemal ein spitzenplätzchen auf der liste der weapons of mass destruction und der hersteller sollte von einer koalition der willigen mal eins auf die birne kriegen.
inzwischen kracht es genau über uns und unser sonnenschirm schützt uns vor dem beginnenden gewitter, das die wohnblöcke um uns herum grell beleuchtet. die abkühlung beginnt, ist aber noch nicht wirklich erfrischend und so wartet eine weitere nicht gut geschlafene nacht auf mich.
ich wache auf mit amerikanisch durchsetzten träumen, und dem gedanken, „ich hab nicht gebloggt“.

No comments: