Friday, July 21, 2006

Boston-Tagebuch oder "Fragen an Richard" 3. bis 6. juli 2006


ankunft

3.7.

best western, zimmer 307, kurz nach 5 p.m., das heißt 23 uhr zuhause. klar dass ich wach bin und schon mal pinkeln musste. ich habe den „fan slow“ aktiviert, nachdem „low cool“ mir einen furchtbaren hustenkrampf beschert hat. „low cool“ hört sich bereits so an, wie wenn eine baumaschine hochtourig aufdreht, um tonnen gestein zu wuchten, verständlich dass ich mich vor „high cool“ ein wenig fürchte. es ist bereits ein wenig hell draußen und unglaublich ruhig. bis auf „fan slow“ der sich nicht ganz so wild wie die „cools“ gebährdet. ungewohnt ist es, kein fenster aufmachen zu können. das hotelzhimmer ist hermetisch gegen die umwelt abgeschottet.
richard hatte uns nicht empfangen, als wir aus dem zoll rauskamen, nach überstandener einwanderungsprozedur (ich will ja nix sagen, wer weiss, ob das jemand liest)
eigentlich kamen wir ganz gut zurecht. da war eine nette dame am info und beschrieb mir exakt und grafisch unterstützt durch einen plan des öpffentlichen verkehrsnetzes den weg zum hotel. das ist die endstation der red line, „alewife“ (gesprochen, wie wenn ein besoffener, dem sie die zähne ausgeschlagen haben, versucht edelweiss zu sagen)
taxi, meinte sie, könnte locker 50 bucks kosten, der bus/underground zusammen 4,50. wichtig: geld passend haben. also geldwechsler und da kam die 25 cent-plage. dann mit der silver-line, einem bus, zur red-line, inbound!!! einer underground und zwar ohne ein ticket zu sehen, bezahlt hatten wir, of course. jutta im tiefen koma sitzt ineinandergefaltet, mit dem kopf unter den flügeln und lässt machen. wir machen alles richtig, schnuppern die ersten eindrücke, sind tief bewegt, wenn bus oder u-bahn plötzlich die wolkenkratzer präsentieren, so nebenbei. die leute sind freundlich, hilfsbereit, doch wir wurden ermordet.
also alles ging gut, bis auf doch so ein bis zwei kilometer zu fuß von der endstation bis zum hotel, mit denen ich nicht gerechnet hatte, in sengender Mittagshitze, verschwitzt, gejetlagt und fertig. ich übernehme auch juttas fracht über eine brücke drüber. jutta immer noch im koma, wird, wohl wegen ihrer deutschland-handtasche von einem fußball-fan angequatscht, als ich unser ziel sehe, hotel tria, nebst einer shoppingmall, umzingelt von ausgedehnten parkplätzen.
wir sind in amerika.

ab diesem teil der story verliert sich die spur von jutta in einem big-mac von doppelbett, nicht so breit aber hoch.
franzi und ich gehen nach einer dusche in den supermarkt schnuppern. die himbeeren waren leider schimmlig und die frau an der kasse war sauer, weil wir aus der reihe tanzten. aber sonst ein geiler laden, duftdurchdrungen von ayurvedanischen heilsalben und indianischen gewürztinkturen.
in der lobby wartet richard, gedrungen in weissen shorts, wie ich und einem weißen t-shirt, nix besonderes. auffallend ist das hütchen, so ein rundgerät, wie es manche schmetterlingsforscher tragen. ich bin überzeugt, dass er tom bombadil verkörpert. wir verkrümeln uns im starbucks und wir erfahren eine menge in kurzer zeit. mir schwirrt der schädel und mein körper verkrampft sich ob der eisigen klimatisierung. seine tochter cheyenne ist mit ben affleck gegangen und warum cynthia böse auf mich ist, über das gewaltige potenzial dieses ortes, genius loci. bill gates hat hier sein studium abgebrochen, als richard die boston computer society mitaufbaute.
wir lassen uns anzünden und so lodernd, machen wir uns auf den weg zur freshpond reservation, einem park direkt neben dem hotel mit einem wassereservoir, das wie in einem hochsicherheitstrakt vor menschlicher nutzung geschützt ist. da tummeln sich jogger, hundeführer, radler und richard fotografiert da jeden tag seine tierchen und pflänzchen in ihrer langsamen relativen bewegung. denn er ist tom bombadil, hüter und schützer von freshpond. es riecht gut, die sonne sinkt langsam etwas gegen den horizont, macht nachmittäglich-abendliches goldlicht und zuhause ist mitternacht weitvorbei.

das reicht für den anfang, und wir verabschieden uns. morgen ist DER FEIERTAG und da sollen wir zum harvard square gehen und die leute anschauen. danach feuerwerk.

4.7. nationalfeiertag

wir benützen die red line um nach harvard zu kommen. es ist heiß und wir sind 3 elemente, die unter temperaturstress koordinationsprobleme entfalten. da würde jeder gerne seine wege gehen und ich kann mitfühlen, wie es meiner tochter geht, die ständig mitkriegt, dass die alten nicht alles mitkriegen. und ich kann mich verstehen, dass ich nicht als trottel dastehen will. harvard ist leer an studenten und nicht besonders voll mit touristen. eine deutsche gruppe wird deutsch über die 3 lügen des john-harvard-denkmals informiert, eichhörnchen raffen wissenswertes und richten in den bäumen büchereien ein, diskutieren über den irak-krieg und sind sich über bush einig. hin und wieder lassen sie quantenschaum auf die touristen rieseln. doch all das lässt uns hungrig werden und schließlich nach dem kauf von ersten harvard-devotionalien ins „au bon pain“ gehen, wo wir draußen sitzen und von johnny cash musikalisch unterhalten werden. überraschenderweise spielt er beatles songs.
noch ein blick auf den charles-river und große teile der mannschaft ermüden mehrgliedrig. rückzug ins hotel, knapp vor einem t-storm.


richard mailte, dass er seine parkrunde dreht und bei uns vorbeikommen kann, 15 uhr 57. ich ging runter um ihn ev. zu treffen und da saß er (nicht richard): der letzte indianer der vereinigten staaten. zuerst war es ein einfacher radfahrer, der da vor einem imbiss seinen snack verzehrte. dann bemerkte ich indianisches haar, ergraut zu einem zopf gebunden und die inuit-ähnlichen züge. gerne hätte ich ihn fotografiert, heimlich, wie es meine art ist. dann fürchtete ich, seine indianischen instinkte würden ihm in der glasspiegelung der imbißbude meinen angriff verraten und ihn nötigen, seinen tomahawk oder zumindest sein messer nach mir zu werfen, doch zumindest mich bloßstellen. „meinst du greenhorn wirklich, du kannst einen indianer täuschen?“ geschlagen passiere ich ihn, um die straße zum park zu queren. auf dem rückweg kommt mir mein freund, der letzte indianer amerikas auf dem rad entgegen und ich gebe ihm den namen „chief fast bike“, denn ich sehe, dass es sich um ein straßenrennrad älterer bauart handelt. unsere blicke begegnen sich und in diesem kurzen moment kommt es mir vor, als hätte chief fast bike in meinen augen den ganzen schlamassel gesehen, den ich mir so zusammendenke. ein lächeln und die andeutung eines grusses huschen über sein schönes gesicht und da weiß ich, dass wir brüder sind, denn auch ich bin eine art letzter indianer. keiner will das wahrhaben.

richard kommt dann später ins hotel und wir übergeben unsere friedensgaben: pottery und papier mit informationen was den friedrichshof betrifft. deutschland hat gerade gegen italien verloren. wir quatschen über vieles und lassen einiges aus.
richard stammt aus wyoming, nahe den nationalparks von einer farm.
wir holen uns im whole food essen, das man hinter den kassen an kleinen tischen verspeisen kann. es schmeckt gut auch in seiner schärfe. übrig bleibt ein haufen pappe und plastik, die wir brav entsorgen.
mit der red line fahren wir zur station charles, wo bereits die ganze brücke mit menschlichen leibern bepelzt ist. dazwischen rinnen kleine ströme, die noch weiter hinaus wollen. wir fädeln uns ein und bleiben an einer stelle, wo man eben die silhouette der hochhäuser sehen kann. wir sitzen, hängen, stehen am rand und lady liberty zieht an uns vorbei, rapper, basketballer, donut-geschwängerte festungen, sämtliche hautfarben der welt. wir sind ein bisschen belämmert, weil wir normalerweise jetzt gerade aufstehen würden, aber dann geht’s los. Furios der beginn, ohs und ahs, besser als gandalf, doch dann verdeckt eine gewaltige rauchwolke der ersten raketen den sicher sehr hübschen rest der performance. ein paar mondraketen können sich durchsetzen und wir treten den rückzug an bevor der offizielle schlußbäng die millionen von der brücke schickt.

5.7.
ich jogge in der früh im fresh-pond-park. endlich. ich erlaufe mir den kontinent, komme gut voran, flankiert, begleitet, geschnitten von wohlerzogenen doggies und etlichen nobelpreisträgern, vorbei am wasserwerk, laut richard dem tadj mahal moderner wasseraufbereitung und gelange schließlich zu richards siedlung, einem kompex von reihenhäuschen gereiht und gestaffelt hintereinander. auf dem rückweg gerate ich auf den golfplatz und werde von 2 opas, bestimmt und freundlich , erschossen, dann hinauskomplementiert und -eskortiert.

heute ist es soweit. nach dem frühstück erobern wir downtown. wir scheitern wieder mal am bus, der spät kommt und dessen haltestelle auch nicht näher als die der red line ist. außerdem zahlen wir 2 mal den token. wurscht. all dies ist unwichtig und schrumpft angesichts der ersten wolkenkratzer unseres lebens, die uns in ihrem schatten dulden. franzi scheint der fotoapparat amok zu laufen. sie ist am ziel. das hat sie gesucht. wir entern den ersten supermarkt und kaufen irgendeinen scheiss. weiter durch die schluchten zur south station, da ist ein kleiner markt. ich kaufe himbeeren für 3 dollar 50, jutta 2 brötchen. von hier schauen die türme traumhaft schön aus und wir knien innerlich nieder.alles ist sehr sauber, auffallend viele baustellen, der rest vom big dig, der in den 90ern angefangen hat und zum big dump wurde. endlich der hafen. jutta meint ja, dass es mich immer zu flüssen und zum wasser zieht. ist sicher was dran. erste erschöpfung, wir rasten bei den ferries, essen hot dogs vorm aquarium und die schmecken gut, immer mit salat, eine coke und ein foto. alle sind glücklich.

wir entscheiden uns eindeutig gegen die rundfahrt mit dem blöden trolleybus und dafür am ende unseres aufenthaltes boston-tickets zu kaufen mit denen man eine reihe museen abklappern kann um den halben preis und wir wollen soviel wie möglich rausholen aus der stadt.
aber erstmal landen wir bei den nippes-buden und kaufen blöde magneten und t-shirts, wie es sich gehört. zurück über den quincy-markt. jutta fährt zum hotel, um frankreich-portugal zu sehen. franzi und ich genießen die shops und werden zeugen einer patriotischen performance einer gruppe von jugendlichen gestart und gestripet. völlig baff sitzen wir auf dem pflaster und lassen „this land is your land“ tief in uns eindringen, amerikanischer geist, wie aus dem bilderbuch, völlig unerwartet, gibt es das wirklich? pausbäckige mädchen mit leuchtenden augen und herrlichen locken, schilder in der hand mit worten wie constitution, mit festem gesang und übersetzt in taubstummensprache. junge männer, picklig, linkisch aber sauber und gut angezogen. der patriotische backsound aus den boxen. etwas aprupt endet der spuk mit einem amerika-lied, das so irgendwie versickert und wuselwusel sind alle weg, vermutlich in einem truck verstaut, alles digital, 3d-projektionen aus dem pentagon.
danach der kontrast, eine rap-dance-gruppe hart und unglaublich und in gelb, irgendein team.
leider ist unser fotoapparat eingegangen und wir hoffen, dass bloß nichts tolles mehr kommt und wollen möglichst flott zur red line. wird nichts. wir folgen dem freedom-trail, besuchen eine riesen buchhandlung und wollen nicht weg. es ist als müsste man längst ins bett einschlafen, will aber partout nicht aus angst, was zu verpassen und so findet man uns heute noch, wenn wir nicht gestorben sind…
Im Hotel hat frankreich portugal rausgeschmissen und richard bringt uns some good news: cynthia, ein bisschen gerührt durch unsere geschenke has turned again. wir dürfen bei ihr wohnen, wenn sie nach maine fährt zu ihrem vortrag und:
wir sind zum lunch eingeladen am Samstag.
na eben. denn wir sind doch wirklich gute menschen!

Noch was zum thema kaffee: hüte dich vor „fresh brewed coffee“ medium. das ist ein ziemlicher pappkübel mit dünner brühe die aus einem thermosbehälter gezapft wird. brrrr.

6.7.
es regnet
ich umrunde den see und bin erstaunt, wie schnell das geht. ich hatte ihn viel größer eingeschätzt. ein nützlicher instinkt, alles erstmal zu überschätzen.

bisher sehe ich 2 oberflächen des landes:
- da ist der moderne staat, mit seiner ganzen materiellen wucht, seinem wohlstand, der funktionierenden infrastruktur. all das drückt macht und anspruch aus
- auf der anderen seite sind die kanten und risse, wenn unglaublich fette menschen sich eier in den mund stopfen, schwer atmend herumtappen, abgefetzte typen plötzlich anfangen, herumzubrüllen von jesus und my country und my president und wenn aufgezogene puppen nahezu überzeugend parolen singen.

aber eigentlich ist das auf der ganzen welt so.

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